Sprachenprojekt "Comic-Übersetzung im Internet und auf CD-ROM"


Die 9. Kunst wird in der Lehr- und Lernlandschaft leider allzu oft vernachlässigt. Das wird sehr deutlich im Hochschulbereich, wo die besondere Eignung des Comics für didaktische Ziele offensichtlich verkannt wird.
Rodolphe Töpffer (1799-1846), der Vater des "modernen" Comics, war von Beruf Schriftsteller, Kunstkritiker und Pädagoge. Er hatte pädagogische Bedürfnisse vor Augen, als er um 1827 seine ersten kleinen Geschichten aufs Papier brachte. Diese neue Form der literarischen Erzählung hätte vielleicht nicht überlebt, wenn nicht Goethe höchstpersönlich seine Begeisterung für dieses neue Medium zum Ausdruck gebracht und R. Töpffer ermutigt hätte, sein Werk zu veröffentlichen.
Mit dem Sprachenprojekt "Comic-Übersetzung im Internet und auf CD-ROM" bekommt der Comic - am Kreuzweg verschiedener Kunstrichtungen wie Literatur, Film und Grafik - als didaktisches Mittel eine neue Dimension, die durch die multimedialen Techniken erst richtig zur Geltung kommt.


Die einzige Vorlesung in Deutschland (Quelle MDÜ 2/2001), die sich mit der Comic-Übersetzung befasst, ist die Lehrveranstaltung von Herrn Xavier Bihan. Getreu der These von Comenius "Lehrinhalte sollen über möglichst viele Sinne vermittelt werden" bietet sie online und auf CD-Rom eine Einsicht in diese Materie und somit eine neue effiziente Lernumgebung für Sprachen.
Dieses Projekt wurde im Sommersemester 2001 am Institut für Romanistik der Humboldt-Universität zu Berlin gestartet.


Zielgruppe:
Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Schüler, Studenten, Rentner, d.h. alle, die eigenständig mit Spaß und Freude eine Sprache lernen wollen. Sprachwissenschaftler und Studenten, die sich für originelle Problemfelder der Übersetzung interessieren, werden hier besonders viele Anregungen bekommen.


Bedürfnisse:
Das Projekt berücksichtigt beispielhaft die Bedürfnisse der Lernenden, indem es auf einzigartige Weise die Möglichkeiten der hypermedialen Techniken zu Gunsten der sequenziellen Kunst nutzt. Die digitale Verknüpfung von Text, Bild und Ton eignet sich besonders für das Lernen von Sprachen anhand des Comics. Wie im Film taucht der Lernende in eine andere Welt, eine andere Kultur, eine andere Sprache ein - mit dem Vorteil gegenüber dem Film, dass er selber bestimmen kann, mit welcher Schnelligkeit die Bilder erscheinen sollen. Er kann auch zeitgleich die Übersetzung in Ton und Text bekommen und so seine Sprachkompetenz prüfen und verbessern. Die äußerst freundliche Darstellung der Geschichten schafft eine attraktive Lernumgebung für jüngere Sprachbegeisterte.


Personen:
Projektleiter: Xavier Bihan
Technische Gestaltung: Vincent Ovaert
Übersetzung und grafische Gestaltung: Die Studenten der Vorlesung
Institutionen:
Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Romanistik
CREDOL
Firmen:
Steinchen für Steinchen Verlag


Eingebunden in konkrete Handlungsabläufe und unterschiedliche Alltagssituationen dokumentieren Comics Redemittel und Kommunikationsstrategien, die als sprachliche Muster einen hohen Übertragungswert besitzen und deren Erwerb zum Kernbestand eines kommunikationsorientierten Fremdsprachenunterrichts gehört. Das umfasst so zentrale Lernzielbereiche wie den richtigen Gebrauch von umgangssprachlichen Redemitteln und -strategien, aber auch das Erfassen der situativen und soziokulturellen Rahmenfaktoren, die ihre Verwendung begleiten und vorschreiben.
Die Behandlung von Comics im Unterricht wirkt schulischer Langeweile und Demotivation aus Erfahrung entgegen.


Auf der Website und der CD-ROM wird mit verschiedenen Formen der computergestützten Darstellung von Comics experimentiert. Der Comic "Touché" vom Berliner Zeichner Tom, bekannt aus der "TAZ" und der "Zitty", ist eine relativ einfache Anwendung der Möglichkeiten des Hyperlinks. So kann man beliebig durch die Comicstreifen vor- und zurückblättern, um die humorvollen Geschichten zu lesen. Für jeden Streifen besteht die Möglichkeit, an die französische Übersetzung zu kommen und dann entweder die französische Fassung zu lesen oder wieder zur Originalfassung zurückzukehren.


Mit dem Comic "Die Abrafaxe" wurde die innovative Darstellung einer Übersetzung durchgeführt, indem das Erscheinen der französischen Fassung durch einfaches Überfliegen mit der "Maus" ermöglicht wurde. Diese Technik des "Rollover" bildet eine angenehme Übertragung des Prinzips der Filmuntertitelung. Das Bild wird nicht geändert, in diesem Fall wird keine neue Seite aufgerufen; die Übersetzung kann fast zeitgleich mit dem Original verglichen werden. Jedoch handelt es sich hier eher um eine "Übertitelung", die den Originaltext überdeckt. Eine direkte Untertitelung des Comics, wie sie schon in den 30er Jahren in Frankreich auf Papier erfolgte, würde dem Text eine zu große Rolle geben und das Bild in den Hintergrund stellen, was für Comics nicht wünschenswert ist.


Mit dem "Marchand de Gros Mots" ist es gelungen, einer sprichwörtlichen multimedialen Anwendung näher zu gekommen. Hier ist das Wort Multimedia nicht nur durch die computergestützte Darstellung gerechtfertigt, sondern auch durch die Verknüpfung von Bild, Text und Ton. Die Idee war, die Eignung des Comics für den pädagogischen Einsatz im Fremdsprachenunterricht zu zeigen. Wie im Fall von "Touché" werden Originalfassung und Übersetzung reichlich "verlinkt" und ermöglichen so eine ständige Überprüfung der Übersetzung oder eine lineare Verfolgung der Geschichte in der selbstgewählten Sprache. Die Miteinbeziehung von Tondateien verschafft dem Comic eine neue pädagogische und unterhaltsame Dimension. Für dieses Projekt konnte Herr Christian Kienast, Fernseh- und Radiomoderator beim Bayerischen Rundfunk, gewonnen werden; er hat seine Stimme für die deutsche Fassung zur Verfügung gestellt. Anhand dieser CD-ROM kann man feststellen, welche Leistungen in punkto Übersetzung und Bildbearbeitung von den Studenten erbracht worden sind.


Das Projekt trägt zur sprachlich-kulturellen Vielfalt Europas bei, indem es ein völlig neues Vorgehen im Bereich des Sprachenlernens anbietet und dem Lernenden dabei zugleich das Eintauchen in eine andere Kultur ermöglicht.
Betrachtet man die eingangs genannte Zielgruppe, so wird deutlich, dass dieses Projekt auf breitester Ebene genutzt werden kann, d.h. überall dort, wo Sprachen gelernt und gelehrt werden. Sowohl Einzelpersonen als auch Schulen, Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen mit Internetanschluss gehören zum potentiellen Anwenderkreis. Die CD-ROM kann bei Interesse zur Verfügung gestellt werden.


Unter dem Aspekt der Mehrsprachigkeit wird derzeit an der englischen Fassung der Comics gearbeitet. Die Einbeziehung weiterer Sprachen ist angedacht.